Im Spiel bleiben – oder lieber nicht?

Theoretische Neurowissenschaftler erforschen das Wechselspiel von Emotionen, Erfahrungen und Entscheidungsfindung.

8. Februar 2021
Anleger an der Börse müssen ständig entscheiden, ob sie ihre Anteile an einer Firma verkaufen oder behalten wollen; wann es sinnvoll ist, einen möglichen Verlust in Kauf zu nehmen, wenn im Gegenzug ein potentieller Profit winkt. Doch wie entscheiden Menschen, wann sie ein Risiko eingehen und wann sie sich vorsichtig verhalten? Beeinflussen bisherige Erfahrungen die Entscheidung? Und welche Rolle spielen Emotionen?  

Ein Team aus Neurowissenschaftlern – Vikki Neville und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Universität Bristol sowie Peter Dayan vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen – hat ein Experiment entworfen, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen. “Wir wollten die Beziehungen zwischen Risikobereitschaft, Erfahrungen und Emotionen im Detail verstehen“, sagt Dayan. „Dafür mussten wir nicht nur ein neues Experiment zur Entscheidungsfindung konzipieren, sondern auch ein neues Berechnungsmodell, um die Ergebnisse zu analysieren.“

Riskante Entscheidungen unter Zeitdruck

Die Akteure an der Börse müssen versuchen, auf Basis uneindeutiger Informationen die Preisentwicklung von Aktien vorherzusagen; dabei berücksichtigen sie unzählige wirtschaftliche und politische Ereignisse. Der aus diesen Einschätzungen resultierende Gewinn oder Verlust kann klein oder deutlich spürbar sein. Im Experiment des Teams aus Bristol und Tübingen wurde die mehrdeutige Information durch kurze Filme bereitgestellt, in denen sich Punkte nach rechts oder links bewegten. Die Versuchspersonen konnten entweder ein Risiko eingehen, indem sie eine Computertaste gedrückt hielten und damit „im Spiel blieben“, oder auf Nummer sicher gehen, indem sie die Taste losließen und damit „ausschieden“. Auszuscheiden zog weder Gewinn noch Verlust nach sich, wohingegen im Spiel zu bleiben ein Minus oder Plus bedeutete, je nach Richtung der Punkte. Die Höhe des Gewinns oder Verlusts war dabei variabel.

Manchmal war die Information recht eindeutig (wenn sich viele Punkte in dieselbe Richtung bewegten), und damit das optimale Vorgehen klar. In anderen Durchläufen jedoch war die Bewegung der Punkte schwerer zu erkennen, so dass die Versuchspersonen schlechtere Informationen darüber hatten, welche Folgen eine risikoreiche Entscheidung haben würde. Sie konnten mit ihrer Entscheidung warten und die Punkte länger anschauen um mehr Informationen zu erhalten, aber das war wiederum selbst ein Risiko: Wenn sie zu lange warteten, würden sie möglicherweise versehentlich im Spiel bleiben und damit das Risiko unbesehen akzeptieren. Das wirft die Frage auf: Wie bestimmt sich, welche Risiken Menschen einzugehen gewillt sind?

Gewinn und Verlust – und Glücklichsein

Die Probanden erfuhren unmittelbar nach jedem Durchlauf, ob und wie viel sie gewonnen oder verloren hatten. Immer wieder im Verlauf des Experiments sollten sie außerdem angeben, ob sie eher positive oder negative Emotionen hatten und ob sie sich eher schläfrig oder wach fühlten.

Es mag nicht überraschen, dass die Versuchspersonen immer dann glücklicher waren, wenn der Versuch für sie erfolgreicher verlief. „Wir hatten aber nicht damit gerechnet, dass Erfolg die Menschen nicht zu mehr Risiken verleitete,“ sagt Dayan: „Tatsächlich bestätigte sich das Gegenteil dessen, was wir erwartet hatten: Vorangehender Erfolg macht es wahrscheinlicher, dass jemand für die sichere Variante, für das Ausscheiden optiert.“ Übereinstimmend damit (aber ebenfalls unerwartet für die Forschenden) war, dass negative Emotionen und hohe Erregungsniveaus die Probanden dazu verleiteten, mehr Risikos einzugehen; und umgekehrt gingen die Probanden dann auf Nummer sicher, wenn sie zufrieden und ruhig waren.

Könnte es also sein, dass Anleger sich für riskantere Transaktionen entscheiden, wann immer sie Verluste machen? Und was würde das für die Stabilität der Gesamtmärkte bedeuten? Es ist sicher nicht möglich, von einer streng kontrollierten Laborsituation auf dieses viel reichhaltigere Szenario zu schließen, so dass diese Fragen noch unbeantwortet bleiben müssen.

Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bristol und Tübingen steht als nächstes auf der Agenda, nicht nur die gesunde Bevölkerung in den Blick zu nehmen. Sie mit ihren neu entwickelten Methoden mehr darüber herausfinden, wie Menschen entscheiden, deren Entscheidungsprozess durch psychische Störungen wie etwa Depressionen verändert ist.

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