apl. Prof. Dr. Almut Schüz

Projektleiterin

Forschungsinteressen

Hauptfokus: Funktionelle Neuroanatomie der Großhirnrinde

Kurze Zusammenfassung meiner Forschung

Hauptthemen (chronologisch):

1) Was passiert beim Lernen im Gehirn?

 Experimente von Autoren in den 60er und 70er Jahren legten nahe, dass Lernen zur Bildung von Dendritendornen (spines) in der Großhirnrinde führt, und damit auch zur Bildung von Synapsen, da diese im Cortex großenteils auf spines lokalisiert sind. Denn Tiere, die in reizarmer Umgebung aufgewachsen waren (Deprivation­sexperimente), zeigten eine geringere Spinedichte im Cortex als Tiere, die in interessanter Umgebung aufgewachsen waren. Auch waren auf elektronenmikroskopischer Ebene Unterschiede in der Ausprägung von Synapsen (Größe, Vesikelzahl) nach solchen Experimenten gefunden worden. Mich interessierte in diesem Zusammenhang der Vergleich zwischen Nesthockern (Mäuse/Ratten) und Nestflüchtern (Meerschweinchen): denn wenn die Bildung von Spines im Cortex durch Lernen bedingt ist, sollte auch bei Nest­flüchtern die Spinebildung hauptsächlich postnatal erfolgen, auch wenn die Tiere ansonsten in einem sehr reifen Zustand geboren werden. Unsere Untersuchungen zeigten jedoch, dass die Dichte von Spines und Synapsen bereits kurz vor der Geburt adulte Werte erreicht hatte; im Fall der spines waren sie teilweise sogar überschritten. Die Schluss­folgerung daraus: die Existenz von Spines und Synapsen in der Großhirnrinde ist nicht das Resultat von Lernvor­gängen, sondern deren Voraussetzung. Um überhaupt assoziativ lernen zu können („was gehört zu was“), muss bereits ein reichhaltig verschaltetes Netzwerk vorhanden sein. (Schüz 1978,1981 a).

 Wie manifestieren sich dann Lernvorgänge? Vermutlich weitgehend durch Verstärkung bereits vorhandener Synapsen. Dafür sprach auch der histologische Vergleich von Spines bei neugeborenen und adulten Meerschweinchen: das Kaliber der Spines war bei adulten Tieren im Durchschnitt dicker und zeigte vor allem aber auch eine größere Varianz. Die Unter­schiede waren noch deutlicher beim elektronenmikroskopischen Vergleich: die adulten Tiere hatten im Durchschnitt eine höhere Anzahl an präsynaptischen Vesikeln, wobei auch hier die Varianz größer war. Dies sprach dafür, dass Lernen zu einer selektiven Verstärkung von Synapsen führt, präsynaptisch durch eine Vermehrung der Vesikel und postsynaptisch durch eine Veränderung des Spinekalibers. Offen blieb, inwieweit auch ein Turnover von Spines und Synapsen eine Rolle spielt. Inzwischen gibt es Evidenz von anderen Autoren dafür, dass dies bis zu einem gewissen Grad auch der Fall ist. Was wir diesbezüglich beobachten konnten, war, dass im Fall der Dornendichte, der Adultwert vorübergehend überschritten wurde, was darauf hinwies, dass es eine Eliminierung nutzloser Verbindungen gibt. Schüz 1980, 1981 b, 1986, 1988)

 

2) Was charakterisiert die Netzwerkstruktur der Großhirnrinde?

 Diesem Projekt von Valentin Braitenberg habe ich mich in den 80er Jahren angeschlossen. Obwohl die Struktur der Großhirnrinde (Schichtung, Zelltypen, Arealunterschiede) seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts weitgehend beschreiben war, war unklar, was für eine Art von Netzwerk die Zellen miteinander bilden. Um darüber Erkenntnisse zu gewinnen, haben wir, in Kooperation mit Günther Palm und weiteren Mitarbeitern (siehe unten), die verschie­denen Strukturkomponenten der Groß­hirnrinde bei der Maus quantifiziert: z.B. Dichte der Neuronen, Neuronentypen, Synapsen, Synapsentypen, dendritische Dornen, Axon- und Den­driten­längen, jeweils im Kubikmillimeter. Daraus ließen sich dann Gesamtzahlen im Cortex errechnen, sowie Zahl der Dornen und Synapsen pro Neuron, deren Verteilung entlang der Axone und Dendrite, sowie die Wahrscheinlichkeit, dass individuelle Neuronen eine oder mehrere Synapsen miteinander machen, in Abhängig­keit von der Entfernung. Insgesamt ergab sich daraus, dass der Cortex ein überwiegend exzitatorisch in sich verschaltetes Netzwerk ist (im Gegensatz zu den anderen Hirngebieten), dass die einzelnen Neuronen jeweils mit vielen Tausend anderen Neuronen verschaltet sind, meisten­teils über Spinesynapsen; dabei sind die meisten Neuronen sowohl lokal, als auch mit Neuronen in anderen Arealen verschaltet. Theoretisch ist dadurch jede Zelle mit jeder anderen über einen oder wenige synaptische Schritte verbunden. Ferner ist charakteristisch für den Cortex, dass die Zahl der Ein- und Ausgänge sehr klein ist im Vergleich zu den innercorticalen Verbindungen. Aus all dem ergibt sich, dass der Cortex am besten interpretierbar ist als ein assoziatives Netzwerk; und unsere Ergebnisse untermauern die Hebbsche Theorie des Lernens. Die einzelnen Befunde finden sich u.a. in folgenden Veröffentlichungen: Schüz and Münster, 1985; Krone, Mallot, Palm, Schüz, 1986; Schüz and Dortenmann, 1987; Schüz and Palm, 1989; Braitenberg und Schüz, 1989; Schüz 1992; Braitenberg and Schüz 1992; Hellwig, Schüz, Aertsen; 1994; Schüz 1994; Aertsen, Erb, Palm Schüz (1994); Schüz 1995.  

Zusammengefasst sind diese Untersuchungen in der Monographie Braitenberg und Schüz (1991, 1998).

Siehe auch Schüz and Braitenberg (2001), Schüz (2003), sowie Palm Knoblauch, Hauser, Schüz, 2014)

Wie die Konnektivität von der Gehirngröße abhängt ist ebenfalls in Braitenberg und Schüz (1998) behandelt, sowie in Schüz und Sultan (2009).

 Zum Vergleich von Cortexarealen siehe das von Schüz und Miller herausgegebene Buch (2002).


 3) Wie sind die langen cortico-corticalen Verbindungen organisiert?

Ein wichtiger Teil dieses assoziativen Netzwerkes sind seine langen Verbindungen, die die verschiedenen Areale miteinander verbinden. Unsere Untersuchungen, sowohl am Menschen, als auch an der Maus, zeigten u.a., dass quanti­tativ die näheren Verbindungen, d.h. Verbindungen mit benachbarten Arealen, über­wiegen (Schüz und Braitenberg, 2002; Schüz, Chaimow, Liewald, Dortenmann, 2005). Für die Gesamtlänge der individuellen distalen axonalen Verzweigungsn siehe Turesson und Schüz (2006).

 Viele Pyramidenzellen – zumindest bei größeren Gehirnen – machen drei Kategorien von Verbindungen: 1. Nahverbindungen direkt in ihrem Umfeld über einige Zehntel Millimeter, 2. fleckige Verbindungen über eine Entfernung von einigen Millimetern mittels langer Axonkollateralen und 3. Fernverbindungen über das Hauptaxon (Voges, Schüz, Aertsen, Rotter, 2010).

 

4) Verteilung der Axondurchmesser (und damit der Leitungsgeschwindigkeiten) in den cortico-corticalen Fernverbindungen

Um darüber Aufschluss zu gewinnen, haben wir die Durchmesser von Axonen in den Axonbündeln der weißen Substanz, sowohl innnerhalb einer Hemisphäre, als auch im Corpus callosum untersucht (Mensch, Makake, Maus). Es zeigte sich, dass in allen drei Spezies die Verteilung der Axondurchmesser sehr ähnlich ist: die meisten cortico-corticalen Axone sind sehr dünn, (Innendurchmesser <0,001 mm) haben also langsame Leitungsge­schwindigkeiten. Die größeren Gehirne unterscheiden sich von dem der Maus nur durch eine kleine Zahl dickerer und sehr viel dickerer Axone. Das bedeutet, dass die Leitungszeiten im menschlichen Gehirn sehr viel mehr streuen und im Mittel sehr viel länger sind als in kleineren Gehirnen. Dieser Befund stützt die These, dass in großen Gehirnen Sequenz­detektoren entstehen können (Miller, 1996) und damit neuartige Funktionen, wie z.B. Sprache. (Schüz and Preißl, 1996; Liewald, Miller, Logothetis, Wagner, Schüz, 2014).


Weitere Themen:

Hippocampus: Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Struktur von Neocortex und Hippocampus. Interpretation der Hippocampusstruktur: Zündung von cell assemblies oder zeitweilige Aufrechterhaltung der Aktivität einer cell assembly während der Einschreibung eines episodischen Gedächtnisinhaltes. (Braitenberg and Schüz, 1983).

Kleinhirn: Vergleich der Entwicklung des Kleinhirns bei Nesthockern und Nestflüchtern: auch hier ist die Entwicklung bei der Geburt beim Nestflüchter (Meerschweinchen) weit fortgeschritten. Eine externe Körnerzellschicht ist zwar noch vorhanden, entspricht aber etwa der einer zwei Wochen alten Maus. In beiden Fällen, Cortex und Kleinhirn, ist die Struktur zum Beginn der Lernphase lernbereit ausgereift. (Schüz and Hein, 1984).

Septumkerne: Untersuchung der Septumkerne bei Gehirnen aus Neuguinea (Koch, Schüz and Kariks, 1985), angeregt durch eine Untersuchung von Beck und Gajdusek (1966) an Papuas, die an Kuru erkrankt waren.    

Entwicklung von Spines und Synapsen in organotypischen Zellkulturen: weitgehend wie in situ; die Pyramidenzellen entwickeln viele Spines; wenn auch nicht mir ganz so hoher Dichte wie bei manchen Pyamidenzellen in situ. Entsprechend ist der Prozentsatz an Spinesynapsen in vitro etwas geringer. Und erstaunlicherweise gab es in vitro mehr große Synapsen mit vielen Vesikeln als in situ, obwohl da nichts gelernt wird. Aber: die Kultur hat höhere Spon­tan­aktivität als in vivo, und damit dürfte sie auch stärkere lokale Verbindungen haben. (Caeser and Schüz, 1992)

Was kommt zuerst: der Spine oder seine Synapse?  Diese Untersuchung spricht dafür, dass zuerst die Synapse entsteht und dann der Spine auswächst. (Schweizer and Schüz, 1990)

Vergleich von Spines und Synapsen bei verschiedenen Spezies (Igel und Makake): Kein Unterschied in Synapsendichte und –größe und im Anteil an exzitatorischen, inhibitorischen oder perforierten Synapsen. Die Spinedichte war ein bisschen höher beim Makaken. Auffallend beim Makaken waren die oft ganz oder weit vom präsynaptischen Element umgebenen Spineköpfe. (Schüz and Demianenko, 1995).

Visuelles System von Primaten, Untersuchungen an V1 und V2 bei Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus), insbesondere an den Cytochrom­oxidase-Blobs (Doktorarbeit Matthias Valverde Salzmann). Er konnte wesentliche metho­dische Verbesserungen entwickeln für die Projektion funktioneller Ergebnisse auf die Anato­mie des Gehirns. Er konnte dadurch zeigen, dass bei weiblichen Weißbüschelaffen Farbensehen so lokalisiert ist wie bei Altweltaffen, trotz wichtiger evolutionärer Unterschiede. So haben bei Callithrix fast nur Weibchen Farbensehen.

(Valverde Salzmann, Wallace, Logothetis, Schüz, 2011; Valverde Salzmann, Bartels, Logothetis, Schüz, 2012).

 

Kooperationen

Plastizität des Cortex nach Retinaläsion: Im Gegensatz zu früheren Annahmen zeigte sich dass die Plastizität im primären visuellen Cortex (V1) nach Retinaläsionen begrenzt ist. Die in der Arbeitsgruppe Logothetis durchgeführten Experimente zeigten im funktionellen Kernspin auch nach 7 ½ Monaten keine Wiederherstellung visueller Antworten in der Region von V1, die der Lokalisation der Retinaläsion entsprach (Smirnakis, Brewer, Schmid, Tolias, Schüz, Augath, Inhoffen, Wandell, Logothetis, 2005).

Sichtbarmachung des Tracers Biocytin im Kernspin. Der in der Histologie viel verwendete Tracer Biocytin wurde von den Chemikern der Arbeitsgruppe Logothetis mit Gadolinium bestückt und haltbarer gemacht als normales Biocytin. Dadurch konnte auch im Kernspin Faser­verbindungen sichtbar gemacht werden. (Mishra, Schüz, Engelmann, Beyerlein, Logothetis, Canals, 2011; Mishra, Mishra, Canals, Logothetis, Beyerlein, Engelmann, Schüz, Dhingra, 2012).

Entwicklung eines molekularen lernenden Netzwerks. Bei diesem EU-Projekt wurde an der Universität Parma (Arbeitsgruppe Fontana) daran gearbeitet, eine lernfähige hardware herzustellen. Herkömmliche Computer sind fest verdrahtete Systeme; Lernen muss darin mithilfe der Software bewerkstelligt werden. Erokhin und Mitarbeiter verwenden leitende organische Moleküle (Polyaniline), um ein Netzwerk herzustellen, dessen Leitfähigkeit sich durch seine Verwendung verändern kann, ähnlich wie es in der Großhirnrinde der Fall ist. Dies stellt eine völlig neue Art von Rechensystemen in Aussicht, die sehr viel gehirnähnlicher sein könnten als herkömmliche Computer. (Erokhin, Schüz, Fontana, 2009; Erokhin, Berzina, Gorshkov, Camorani, Pucci, Ricci, Ruggeri, Sigala, Schüz, 2012; Sigala, Smerieri, Schüz, Camorani, Erokhin, 2013).

Vaskularisierung der Cytochromeoxidase-Blobs in der Sehrinde von Primaten. Für die Interprätation von funktionellen Kernspinuntersuchungen ist es wichtig, lokale anatomische Unterschiede in der Vaskularisierung des Gehirns zu kennen. Es gab aus einer früheren mikroskopischen Untersuchung Anzeichen, dass die Cytochromoxidase-Blobs besonders stark vaskularisiert sind, was aber in hochauflösenden MRT-Untersuchungen nicht erkennbar war. In diesem Projekt wurde deshalb die Vaskularisierung nochmals mit anderen anatomischen Methoden überprüft. Es zeigte sich, dass die Cytochromoxidase-Blobs in der Tat etwas stärker vaskularisiert sind als die Interblobregionen, jedoch ist der Unterschied wesentlich kleiner als durch die frühere Studie nahegelegt.

(Keller, Schüz, Logothetis, Weber, 2011).



Vita

siehe englische Version

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