Schau mir in die Augen!

Was das Austauschen von Gesichtszügen uns darüber lehrt, wie wichtig Augen für die Wahrnehmung von Gesichtern sind

8. Februar 2021
Wenn Bruce Lee und Chuck Norris in Die Todeskralle schlägt wieder zu gegeneinander kämpfen, kann man die beiden Gegner ohne Probleme auseinanderhalten – selbst dann, wenn man mit dem Aussehen der beiden nicht sehr vertraut ist, wird man ohne weiteres Bruce Lee als den Schauspieler mit den asiatischen Zügen und Chuck Norris als seinen europäisch aussehenden Kontrahenten erkennen. Doch was wäre, wenn man die Nase von Bruce Lee in Chuck Norris‘ Gesicht auftauchte? Oder wenn die Augen von Chuck Norris mit denen von Bruce Lee vertauscht würden?

Forschende interessieren sich schon lange dafür, wie Menschen Gesichter in Kategorien einordnen – zum Beispiel dafür, wieso wir Gesichter als männlich oder weiblich oder auch als europäisch oder asiatisch klassifizieren. Stützen sich derartige Urteile auf die Augen, die Nase, den Mund, oder vielleicht auf die Form des gesamten Gesichts?

Isabelle Bülthoff vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen sucht nach Antworten darauf. „Wenn man Leute fragt, was der auffälligste Unterschied zwischen den Gesichtern von Koreanern und Deutschen ist, antworten die meisten intuitiv, das müssten die Augen sein – und wir wollten wissen, ob das auch stimmt,“ sagt Bülthoff.

Auge um Augen, Mund um Mund

Bülthoff und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Korea University in Südkorea entwarfen neue Gesichter, indem zwischen Bildern von Europäern und Asiaten sie verschiedene Gesichtszügen austauschten. Ausgangpunkt waren 40 echte Gesichter – 20 von Deutschen und 20 von Koreanern – wie in der linken Spalte der Abbildung; dort ist das obere Gesicht das eines Deutschen und das untere das eines Koreaners. Um einen unverstellten Blick auf die Form der Nase, der Wangen und des Kinns zu ermöglichen, sind die Köpfe auf allen Bildern leicht von der Seite aufgenommen.

Nacheinander tauschten die Forschenden nun einzelne Gesichtsmerkmale gegeneinander aus. Zum Beispiel ersetzten sie die Augen in einem europäischen Gesicht durch die Augen eines Asiaten, während der Rest des Gesichts unverändert blieb (siehe das obere Gesicht in der mittleren Spalte) und umgekehrt die Augen in einem asiatischen Gesicht durch die Augen eines Europäers (unteres Gesicht in der mittleren Spalte). Die Gesichter in der rechten Spalte wurden anders modifiziert: Das obere Gesicht ist wie gehabt das Gesicht desselben Deutschen, nur diesmal mit einer asiatischen Nase, und das untere Bild zeigt das Gesicht desselben Koreaners wie zuvor, aber mit einem europäischen Mund versehen. Bülthoff betont die Bemühungen ihres Teams, die Gesichter echt wirken zu lassen: „Wir haben alle Gesichtsteile natürlich eingebettet – alle Gesichter sehen realistisch aus und es ist kaum möglich, die Manipulationen zu erkennen.“

Was ist entscheidend für die Wahrnehmung von Gesichtern?

Zunächst sollten deutsche Probanden die 40 originalen Gesichter sowie all deren Varianten als asiatisch oder europäisch klassifizieren. Das Austauschen der Augen hatte den größten Einfluss auf die Wahrnehmung: Die Mehrzahl der deutschen Studienteilnehmer ordnete die asiatischen Gesichter mit europäischen Augen als europäisch ein; und umgekehrt wurden europäische Gesichter mit asiatischen Augen mehrheitlich als asiatisch aussehend bezeichnet. Ein derart starker Effekt war nicht zu beobachten, wenn die Nase oder der Mund ausgetauscht wurden. „Sogar wenn das gesamte Gesicht mit Ausnahme der Augen europäisch ist, reichen die asiatischen Augen aus, um das Gesicht asiatisch aussehen zu lassen – und umgekehrt“, resümiert Bülthoff.

Aber könnte dieses Ergebnis durch kulturelle Faktoren beeinflusst sein? Oder dadurch, dass Deutsche im Alltag typischerweise mehr europäische als asiatische Gesichter sehen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, wiederholten die Forschenden ihr Experiment in Korea. Es stellte sich heraus, dass die koreanischen Probanden ebenfalls die Augen als den entscheidenden Faktor empfanden, der ein Gesicht asiatisch oder europäisch aussehen ließ.

Dies legt nahe, dass Augen – unabhängig von kulturellen oder geografischen Gegebenheiten – eine entscheidende Rolle bei der Gesichtswahrnehmung spielen. Während uns also ein Augentausch auf keinen Fall entgehen würde, bleibt offen, ob wir Chuck Norris‘ Nase in Bruce Lees Gesicht überhaupt bemerken würden.

 

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